DIE KUNST

Von Anbeginn an wurde in der Geschichte der Kunstakademien die Beschäftigung mit Meisterwerken der Vergangenheit die wichtigste Methode der Ausbildung eines Künstlers. Die russische Kunstschule hat bis heute diese Methode nicht aufgegeben und das hat nichts mit dem Erbe der Schule des sozialistischen Realismus zu tun. In der russischen Sprache wird das Wort Malerei übersetzt als lebendig Geschriebenes (живопись). Lebendig schreiben aber kann nur ein Künstler, der das Schreiben gelernt hat und die Regeln beherrscht. 

 

Es steht jedem Künstler frei, sich sein Leben lang weiterzubilden und entfalten. Man muss nicht vor der Staffelei auf Eingebungen warten, um weiterzukommen. Man muss sich bewegen, neugierig und offen für die echte, große Kunst bleiben. Dann wird man nicht von einer Mal-Blockade überrascht und bleibt sicher im Fluss der eigenen Ideen. 

 

Die beste Möglichkeit, Kunst zu studieren, bieten die Museumssammlun-gen und die Ausstellungshäuser.

Ich selbst bin seit mehreren Jahren immer wieder in Hamburger und Lüneburger Museen unterwegs. Hier einige Beispiele von Meisterwerken, die meine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt und meine Phantasie angeregt haben:                  


 

THOMAS HERBST

1848-1915

 

EIN BAUERNMÄDCHEN

1895, Öl auf Leinwand

 

HAMBURGER KUNSTHALLE

(Erworben im Todesjahr des Künstler aus Mitteln der Campe'schen Historischen Kunststiftung)

 

 


EINE SUBJEKTIVE BETRACHTUNG

aus dem Skizzenbuch, 2017

 

 

Der Künstler Thomas Herbst war ein Hamburger „grüner“ Impressionist. Seine Farbstudie des Bauernmädchens hat mich mit ihrer rührenden, lyrischen Aussagekraft beeindruckt. Mit wenigen Farben auf der Palette und mit breitem, sicherem Borstenpinselstrich wurde die flüchtige Begegnung mit dem Kind festgehalten. Ein blondes Mädchen, auf dem schmalen, weißen Sandweg stehen geblieben, ist in seine Gedanken vertieft. Der Zaun an der Seite verläuft in eine formlose grüne Masse und verstärkt damit das Gefühl des Augenblicks. Noch ein wenig Geduld und alles setzt sich wieder in Bewegung. Das Mädchen setzt ihren Hut wieder auf und läuft davon...

 

 

Ohne Vorzeichnung, mit mehreren führenden Linien skizziert Herbst die ganze Figur. Mit wenigen Korrekturen, die mit groben Farbflecken überdeckt wurden, schafft der Künstler ein lichterfülltes Bild. Das Licht ist kalt weiß, um so wärmer wirken die strohblonden Haare des Mädchens und die sonnengebräunte Haut. Das Bild ist einfach, natürlich und lebendig.   

 

 



EDWARD MUNCH

1863 - 1944

 

WINTERWALD

1900/01, Öl auf Karton

 

 

HAMBURGER KUNSTHALLE

(Vermächtnis Ottile Schiefler zum Andenken an ihre Eltern

Gustav und Luise Schiefler, Hamburg 1992)

 

 


EINE SUBJEKTIVE BETRACHTUNG

aus dem Skizzenbuch, 2017

 

 

Edward Munch gehört zu einer Reihe von Künstlern, die ich nicht kannte, bevor ich nach Deutschland kam. Seine Malerei habe ich für mich in der Kunsthalle in Hamburg entdeckt. 

Überraschend ist für mich bei diesem Künstler sein Verhältnis zu Farben im Umgang mit den klassischen Methoden der Ölmalerei.  Seine Bilder oft ähneln den flüchtigen Aquarellen. Die Leinwand wird teilweise wie  Papier in der Aquarellmalerei zwischen Farbaufträgen freigelassen. Die Ölfarben sind so stark verflüssigt, dass sie wie bunte Obstsäfte auf der Malfläche verlaufen. Sie sind sehr intensiv...

Als ich seine Bilder das erste Mal sah, habe ich eine geistige Verwandschaft mit Vincent Van Gogh  vermutet.

 

 

 


...Das Werk mit dem Titel WINTERWALD ist sowohl vom Motiv als auch von der Ausführung her sehr interessant. Grundsätzlich ist es nicht leicht, eine weiße Winterlandschaft zu malen, ohne kitschig zu wirken. Besonders, wenn es nicht  gerade von Sonnenlicht mit klaren Schatten und Farbreflexen unterstützt, von den Augen des Künstlers liegt. 

Bei dem ersten Blick auf das Bild habe ich gedacht, ich kenne es doch. Ich habe es im Ural in der Taiga Anfang März 1984 gesehen. Wie ein wunderbares Spiel vom Himmel, Silhouetten der Bäume und unendlicher Schneefläche, die einige Monate alt war...

 



BERTRAM VON MINDEN

um 1345 - 1414/15

 

BUXTEHUDER ALTAR

Öltempera auf Eichenholz,  auf Leinwand gezogen.

 

HAMBURGER KUNSTHALLE

(Erworben mit Mitteln der Campe'schen Historischen

Kunststiftung, 1904)


EINE SUBJEKTIVE BETRACHTUNG

aus dem Skizzenbuch, 2014

 

Die Werke des Meisters Bertram von Minden in der Hamburger Kunsthalle sind ein wunderbares Beispiel spätmittelalterlicher Tafelmalerei. Man betrachtet sie mit dem faszinierenden Gedanken, dass sie heute, obwohl ihre Entstehungszeit hunderte Jahre zurück liegt, gesehen und studieren werden können. Und wenn man sich die Zeit nimmt und die Bilder genau anschaut, dann wird man mit neuem Wissen und einigen Überlegungen belohnt.

 

Für mich persönlich war die technische und methodische Ausführung der Tafeln von besonderem Interesse. Man erkennt die gezielte Nutzung von Schablonen in der Ausführung von Blumen und Bäumen. Man glaubt Bildelemente von Meisterhand und von der Hand seiner Schüler zu unterscheiden.

Punzierte Ornamenten-Muster  werden durch grafische, schwarzbräunliche Konturen unterstützt. Gleichzeitige Nutzung flache dekorativer Gestaltung und naive perspektivische Darstellung ist eine Mischung aus rührender Naivität und einem hohen Anspruch auf lebensnah stehende Ausführung. 

 

Plastische Gestaltung innerer Rahmen zwischen Motiven ist auch eine Meisterleistung. Ich vermute, dass sie gedacht war, die Edelsteinumrahmung zu imitieren. heute, mit modernen Farben auf Kunstharzbasis, ist es kein Kunststück, dieses Ziel zu erreichen. Damals aber sah alles - technisch gesehen - ganz anders aus. Da liegen Welten dazwischen, wie zwischen Kerzenlicht und dem Licht einer Neonlampe...

 

 

 

 

Ich denke, weitere Notizen kommen noch. Ich werde nicht müde, die Werke des Meister Bertram von Minden und seiner Werkstatt zu studieren. 

Ich kann es nur jedem empfehlen, der sich für Malerei interessiert.